Dokumentarfilm von Gianfranco Rosi
Italien/Frankreich/Deutschland 2020, DCP, 100’, OV/d/f, ab 16 J.
Drei Jahre filmte Gianfranco Rosi in den Grenzgebieten von Syrien, Irak, Kurdistan und dem Libanon Menschen, deren Alltag von Krieg und diktatorischen Regimes dominiert wird. Inspiriert wurde er durch die Begegnungen mit Flüchtlingen auf Lampedusa, die er in seinem letzten Film «Fuocoammare» – 2016 unter anderem mit dem Goldenen Bären und als bester Europäischer Dokumentarfilm ausgezeichnet – festgehalten hat.
Rosi wollte dem Ursprung der Tragödien in den Herkunftsorten dieser Menschen nachgehen. Die ersten zwei Monate stellten eine grosse Herausforderung dar, da Rosi ohne Kamera auf Menschen und ihre Geschichten traf. Noch vor Beginn der Dreharbeiten war er sich über die Machart seines Films im Unklaren. «Es wird viel Zeit und Mühe kosten, diese Geschichte zu erzählen, die bereits auf so viele Arten erzählt wurde, aber ich hatte das Gefühl, ich musste zurückgehen, um etwas zu reparieren, das so exponiert war, und einen anderen Blickwinkel finden. Ich möchte alltäglichen Geschichten begegnen, den Geschichten der Menschen über Normalität in dieser Welt, die nichts Normales hat, mit Konflikten, Schmerz und Härte», so Rosi. Sein Interesse gilt dabei dem subtilen Zusammenspiel von Facetten des Alltäglichen und des Schreckens in der Katastrophe. Notturno bedeutet «Nacht werdend» und steht für die Stimmung des Films.
«‹Notturno› vereint nun mehrere dokumentarische Geschichten aus Syrien, Irak, Kurdistan und Libanon. Erklärt wird weniger als nichts – kein Ort, kein Land, kein Name wird benannt. Der Effekt ist, dass man jeden Versuch bald aufgibt, nach Frontlinien, falschen und richtigen Seiten, weltpolitischen Dimensionen zu suchen. Der Film ist ein einziges, universales Poem auf das Weiterleben nach Tod und Zerstörung, auf einen Alltag unter dem ewigen Widerschein brennender Ölquellen und dem Echo ferner Gewehrsalven. Ein Mann, der in einem nächtlichen Sumpfgebiet zu jagen versucht, vor einem orangeflackernden Himmel; eine psychiatrische Anstalt, in der die Insassen ein Stück über das Elend ihres Heimatlands proben; eine Mutter, die dem Regisseur Sprachbotschaften ihrer Tochter vorspielt, geschickt offenbar aus der Gefangenschaft des IS – alles Szenen, die man nicht mehr vergisst.» (Tobias Kniebe, Süddeutsche Zeitung, 8.9.20)